29.10.2015
Vortrag von Dr. Berthold Kreß (London)

Offenbarung im Diagramm - eine Handschrift von Paul Lautensack (1477/78-1558)

Zu den ungewöhnlichsten Objekten der Augsburger Staats- und Stadtbibliothek gehört eine als ‚Offenbarung Jesu Christi‘ betitelte Handschrift des Nürnberger Malers Paul Lautensack, die auf das Jahr 1535 datiert ist.

Fast jede ihrer Seiten zeigt hochkomplexe Zeichnungen und Diagramme, die eine rätselhafte Mischung aus biblischen Szenen und Zitaten, Buchstaben und Zahlen enthalten. Diese Darstellungen, die erst vor wenigen Jahren entschlüsselt werden konnten, zeigen, wie Lautensack versuchte, die neuen Ideen der Reformation, und vor allem die Lutherbibel, zu verstehen, und wie er sein Handwerk vor den Angriffen der Bilderstürmer verteidigen wollte. Sie sind deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Handwerker in den Städten zwar für den frühen Erfolg der Reformation entscheidend waren, aber nur wenige von ihnen schriftliche Zeugnisse hinterließen. In diesem Vortrag werden die Diagramme der Augsburger Handschrift vorgestellt und in den Zusammenhang der Reformationsgeschichte und der Bilderwelt des 16. Jahrhunderts gestellt.  

Dr. Berthold Kreß studierte Kunstgeschichte in München und Cambridge, wo er im Jahr 2007 mit einer Arbeit über Paul Lautensack promoviert wurde. Nach Forschungsstipendien und Aufenthalten als Gastwissenschaftler in Cambridge, Princeton und San Marino (Kalifornien) wurde er wissenschaftlicher Assistent am Warburg Institute (London), wo er vor allem für die Photothek und die darauf aufbauende ikonographische Datenbank arbeitet. Seine Forschungsschwerpunkte sind deutsche Kunst der Reformationszeit, frühe Buchillustrationen und das Buch Daniel in der mittelalterlichen Kunst.